Originalstücke,
Artikel aus dem TIP, April 2002, zur Ausstellung in der Galerie am Prater, Berlin,
von Katrin Bettina Müller

Zeitreisende sind sie alle. Jahrtausende vor uns begannen Kräfte auf ihre Form einzuwirken – den Verlauf der Adern, die fossilen Einschlüsse, den Glanz der Kristalle, und Jahrhunderte nach uns wird davon immer mehr noch übrig sein als von unseren Knochen. Fast könnte man die Steine, die Stefan Ohnesorge in der Galerie am Prater auf Sockel gelegt oder zu Reihen verwandter Formen geordnet an die Wand gehängt hat, für bloße Fundstücke und gänzlich unbearbeitet halten, so wenig lassen sich die Spuren des Eingriffs erkennen. Wäre da nicht den rauen und rohen Oberflächen zum Trotz sehr oft eine Symmetrie zu finden. Sie verführt dazu, nach vertrauten Formen in den Steinen zu suchen. Bei anderen der Objekte kann man sich vorstellen, dass sie einmal mit Absicht geformt waren, als Werkzeug vielleicht, als Keil oder Gegenstand des Kultes, dann aber vergessen wurden, untergegraben oder abgeschliffen von Salzwasser und Sand. Die Anmutung des Organischen unterstützen die Kreidezeichnungen von stachligen Einzellern mit einem rosa schimmernden Innen, das sich außen dicke schwarze Schwarten und kratzige Panzer zugelegt hat. "Futurozoikum – Überreste bevorstehender Zeiten" nennt der Bildhauer aus dem Oderbruch seine Sammlung. Zu ihr gehört noch eine kantige Form aus Holz, hoch genug, um dahinter wegzutauchen, und Respekt vor dem mächtigen Stamm erzeugend, aus dem sie kommen muss. In das Volumen passt ein Mann vier bis fünf Mal, ein Boot hätte daraus werden können, ein Sarg, eine Truhe. Aber weil wir von diesem ganzen kulturellen Inventar schon mehr als genug haben, hat sich Ohnesorge für eine Form entschlossen, die das alles umschreibt und sich Zeit lässt.